Souveränität hat ihren Preis

Das hebräische Wort für Einwanderung ist „Alija» und bedeutet „Aufsteigen, Hinaufziehen», womit ursprünglich die Wallfahrt zum Jerusalemer Tempelberg bezeichnet wurde. In Natan Sznaiders neustem Buch „Gesellschaften in Israel. Eine Einführung in zehn Bildern» (Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2017) bildet der Tempelberg denn auch verschiedentlich den Ausgangspunkt für die Beschreibung der schwierigen Verquickung von Religion und Staat, die in Israel nicht auseinanderzudividieren ist. Die verschiedenen Einwanderungswellen liegen der noch immer jungen Nation wie Sedimente zugrunde und formen doch keine getrennten Schichten. Die heftigen Reibungen führen unweigerlich zu gesellschaftlichen Verwerfungen. Wurden die aus dem arabischen Raum eingewanderten Misrachi in den 50er Jahren noch vom Staat gegängelt, erhielten die Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion unter der kurzen Regierung Rabins Anfang der 90er Jahre einen grossen Freiraum. Es sind solche Unterschiede, die Natan Sznaider in den Blick nimmt und die den Blick des Lesers für die komplizierte Gemengelage der israelischen Gesellschaft schärft. Dass der Autor am Ende seiner zehn Bilder dem Prinzip Hoffnung Raum gibt, ist auch der Tatsache geschuldet, dass er glaubt, die unüberbrückbar scheinende Kluft zwischen Souveränitätsanhängern und Menschenrechtlern liesse sich innerhalb der jüdischen Tradition verbinden. Wie genau, wird er im Gespräch mit Hanno Loewy verraten, der eine Zukunft Israels nur sieht, wenn das Land ein Staat seiner Bürger wird.

Natan Sznaider, geboren 1954 in der Nähe von Mannheim, ist ein israelischer Soziologe. Er unterrichtet an der Akademischen Hochschule in Tel Aviv. Schwerpunkte seiner Forschungen sind Kultursoziologie, Politische Theorie, Hannah Arendt, Globalisierung, Kosmopolitismus, Erinnerung und Shoah. Nächstes Jahr wird Natan Sznaider die Sigi Feigel-Gastprofessur für Jüdische Studien in Zürich innehaben.

Hanno Loewy, 1961 in Frankfurt am Main geboren, ist promovierter Literatur- und Filmwissenschaftler und seit 2004 Direktor des Jüdischen Museums Hohenems. In seinen Ausstellungen und Publikationen wirft er einen originellen und scharfen Blick auf die jüdischen Gemeinschaften in Europa, den USA und Israel.