In ihrer eindrücklichen Essaysammlung «Weil es sagbar ist» geht Carolin Emcke auf die Irrationalität der Konzentrationslager ein: «Der desorientierte Häftling im Lager sucht nach Regeln, wo Willkür herrscht, nach irgendeiner Vernunft, wo Wahnsinn regiert. Etwas wehrt sich, als ob Brutalität und Grausamkeit nicht allein unmoralisch, sondern unlogisch seien». In einer gemeinsamen Veranstaltung mit den Autorenkolleginnen Lena Gorelik und Maryam Zaree setzt sie sich mit Texten von Primo Levi, Jean Améry, Ruth Klüger, Charlotte Delbo, Imre Kertész und Jorge Semprun auseinander und macht sich Gedanken zur Erinnerungspolitik.
Kategorie: 2022
«Dürfen wir eintreten, Vera Brunner-Kalman»?
An einem herbstlichen Sonntag öffnet das Omanut-Mitglied Vera Brunner-Kalman die Tür zu einem Baujuwel der Schweiz, das sie und ihre Mutter, die Kinderärztin Paula Kalman-Fränkel, 1973 bei dem Tessiner Architekten Luigi Snozzi in Auftrag gegeben haben. Die «Casa Kalman» in Brione sopra Minusio ist eng mit der Biographie der in Zürich geborenen Paula Kalman verbunden, die ihrem Mann 1945 nach Ungarn folgte, wie es ihre Tochter in der eben erschienenen Monographie über das Bauwerk beschreibt: «Meine Mutter litt stets an dem kommunistischen «Trauma» und befürchtete, dass irgendwann die Russen auch die Schweiz erobern würden. Daher war ihr von Anfang an wichtig, dass das Haus – sofern es unter kommunistischer Herrschaft enteignet würde – in zwei autonome Einheiten aufgeteilt werden könnte»
Anziehende Antiheldinnen
Krimis aus Israel von Yonatan Sagiv und Shulamit Lapid
«Sicher, meine Schöne, sicher», sind die letzten Worte, welche die aufstrebende Sängerin Gabriela Oded Chefer ins Ohr flötet. Sie ist eine Transfrau, «die Schöne» ein queerer Privatermittler, der nach ihrer Ermordung alles daransetzt, den Schuldigen zu finden. Yonatan Sagivs erster Krimi «Der letzte Schrei» (Kein & Aber 2022) führt in den Süden Tel Avivs, dessen Fassade unpolierter als der Rest dieser glänzenden Stadt ist. Hier herrscht das Recht des Stärkeren, aber auch eine Solidarität zwischen Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben: Prostituierte, Kleinkriminelle, Illegale.