AKTUELL
Die Bedeutung der Diaspora im Judentum Susannah Heschel im Gespräch mit Andreas Kilcher
Donnerstag, 31. Oktober 2024, 19 Uhr
Seit der Antike wurden das Exil und die Diaspora der Juden im jüdischen Denken – und auch im christlichen – theologisch und politisch unterschiedlich interpretiert. Tatsächlich ist die Terminologie von Golah, Geulah selbst von religiöser Bedeutung: Leben Juden ausserhalb des Landes Israel im Exil oder einfach in der Diaspora? Befindet sich das Judentum in einem Zustand des Exils, wenn es ausserhalb des Landes und ohne den Jerusalemer Tempel praktiziert wird? Für einige jüdische Denker ist der Zionismus ein Höhepunkt, eine Erlösung, die die Diaspora negiert. Für andere hingegen ist der politische Zionismus ein ketzerischer Verstoss gegen Gottes Versprechen, die Juden zu erlösen. Im Laufe der Geschichte entwickelten jüdische Denker in zum Teil kontroversen Debatten Positionen zu Exil und Diaspora. Dazu gehörten mittelalterliche Messianiker und rabbinische Rechtsautoritäten, chassidische Denker, europäische und arabische Juden, Assimilationisten, Zionisten und Sozialisten, religiöse Nationalisten und Antizionisten.
Seferia – jüdisches Buchfestival
Dana von Suffrin im Gespräch mit Sascha Chaimowicz
Samstag, 2. November 19.30 Uhr
Von Dana von Suffrins erfrischendem Humor, ihrer menschlichen Klugheit und feinen Ironie kann man nicht genug bekommen - und auch nicht von ihrem Figurenarsenal: ein Vater, eine Mutter und zwei Schwestern. Nach der Präsentation ihres Erstlings «Otto» (Kiepenheuer & Witsch, 2019) ist die Autorin erneut bei Omanut zu Gast und wird im Gespräch mit dem ZEIT-Redaktor Sascha Chaimowicz neben ihrem neusten Roman «Nochmal von vorne» (Kiepenheuer & Witsch, 2024) ihre eben erschienene Anthologie «Wir schon wieder» (Rowohlt Verlag, 2024) vorstellen. In Dana von Suffrins Beitrag zu den von ihr gesammelten «16 jüdischen Erzählungen» steht wiederum der aus Israel nach Deutschland übersiedelte Vater im Mittelpunkt und das Ende ist unheilvoll. Das Vorwort nimmt die düstere Stimmung bereits vorweg. Darin schreibt Dana von Suffrin, dass das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden schon immer kompliziert, nach dem 7. Oktober gar neurotisch ist und «zuletzt oszilliert es nicht selten zwischen Enttäuschung und Verrat». Es geht an diesem Abend also auch um Zuschreibung von Identität und Jüdisch-Sein in Deutschland heute.
Seferia – jüdisches Buchfestival
Genaues Hinschauen Lesung mit der Autorin Nadine Olonetzky in Begleitung des Duos Schönhaus
Sonntag, 3. November, 14 Uhr
«Wiedergutmachung» - ein papierenes Wort für die Fortsetzung der Entrechtung der Juden mit anderen Mitteln. So erlebt Nadine Olonetzky den Versuch ihres Vaters, für die erfolgte Enteignung und Inhaftierung, die er selbst und seine Familie erlitt, Entschädigung zu erhalten. Sie erfährt von diesen Vorgängen der Nachkriegszeit erst lange nach dem Ableben des Vaters, was die immer mehr Raum einnehmenden Recherchen umso schmerzlicher und wichtiger machten. Viele Fragen bleiben offen. Und so wie die Gartenpflanzen in den Intermezzi des Buches «Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist» (S. Fischer Verlag, 2024) erblühen und verwelken, verrinnt die Zeit und mit ihr das Wissen um die Untaten. Gut, dass sich Nadine Olonetzky auf behutsame Weise den Ereignissen annähert und die Dinge beim Namen nennt.
Seferia – jüdisches Buchfestival
HEBRAICA – Agi Mishol – eine spät entdeckte Stimme der israelischen Lyrik
Mittwoch, 20. November, 19.30 Uhr
Die Gedichte von Agi Mishol, 1946 in Transsilvanien geboren, sind sehr irdisch, sehr menschlich und ungeschminkt; sie sind im Alltag der Dichterin verankert, die in einem Moschaw in der Nähe von Gedera lebt. Flora und Fauna, der Anbau von Persimonen und Granatäpfeln bestimmen ihre Lyrik, die immer wieder die ethische Position der Verantwortung verhandelt. Ob sie über einen umgepflanzten Olivenbaum schreibt, der für die Entwurzelung der Palästinenser steht, oder von einer zwanzigjährigen Schahidin, die „unterm weiten Kleid schwanger mit Sprengstoff“ geht. Ihre oft humorvollen Gedichte machen trotzdem Hoffnung, denn auch wenn es „unter der Sonne nichts Neues gibt / über ihr vielleicht schon“. Ihren empathischen Blick auf die Welt hat die Übersetzerin Anne Birkenhauer feinfühlig eingefangen. Die Übertragung einer Auswahl von Agi Mishols Lyrik ist dieses Jahr unter dem Titel «Gedicht für den unvollkommenen Menschen» im Hanser Verlag erschienen.
Seferia – jüdisches Buchfestival
HEBRAICA – Rikud ha-Aviv – Frühlingstanz von Shifra Kuperman
Sonntag, 24. November, 14 Uhr
Shifra Kupermans erster Roman spielt in Basel und erzählt die Geschichte einer Dreiecksbeziehung zwischen zwei Männern und einer Frau, jeder mit seinen eigenen Gedanken, Sehnsüchten und Zielen. Die aus Israel und der Schweiz stammenden Protagonisten sprechen untereinander Deutsch – in einem auf Hebräisch verfassten Text. «Rikud ha-Aviv» ist ein literarisch-philosophischer Tanz zwischen Sprachen und Ländern, zwischen Moderne und Antike, zwischen platonischer Liebe und Erotik.
Das Gespräch zwischen drei Personen nimmt die Grundkonstellation und die Vielschichtigkeit des Romans auf: Shifra Kuperman ist nicht nur Autorin, sondern auch Dozentin für Jiddisch; Judith Müller ist Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt moderne hebräische Literatur und Oded Fluss ist Bibliothekar und schreibt Texte rund um das jüdische Buch.
Seferia – jüdisches Buchfestival
HOMMAGEN – Ilse Weber-Herlinger (1903-1944)
Sonntag, 17. November, 11 Uhr
Die 1903 geborene tschechische Autorin Ilse Herlinger hat auf Deutsch unterhaltsame Geschichten und Theaterstücke für Kinder geschrieben, die bis zum Aufstieg der Nationalsozialisten in verschiedenen Zeitschriften gedruckt und am Radio gesendet wurden. 1928 erschienen ihre «Jüdische Kindermärchen» in einem mährischen Verlag. Ilse - die neben dem Gesangsunterricht Gitarre, Laute, Mandoline und Balalaika spielen gelernt hatte - vertonte auch eigene Gedichte. Nach der deutschen Besetzung des Sudetenlandes und kurz vor Kriegsausbruch gelang es ihr und ihrem Mann Willy Weber, den älteren Sohn Hanuš mit einem Kindertransport nach Schweden zu schicken, während der Rest der Familie 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Da sie die von ihr auf der Krankenstation betreuten Kinder nicht im Stich lassen wollte, kam Ilse Weber 1944 zusammen mit ihrem jüngeren Sohn Tomáš nach Auschwitz, wo sie mit all ihren Schützlingen ermordet wurde.
Seferia – jüdisches Buchfestival
HOMMAGEN – Lily Körber «Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland»
Sonntag, 17. November, 17 Uhr
Promoviert wurde Lili Körber Mitte der 1920er Jahre mit einer Arbeit über die Lyrik Franz Werfels. 1930 reiste sie mit Anna Seghers und Johannes R. Becher aus Interesse an den sowjetischen Verhältnissen nach Russland, wo sie 1897 in Moskau als Tochter des aus dem galizischen Tarnow stammenden Kaufmanns Ignaz Körber und dessen polnischer Ehefrau Jeanette geboren wurde. Ihre Erlebnisse beschrieb sie im Buch «Eine Frau erlebt den roten Alltag», das 1932 noch in Deutschland erscheinen konnte. Die folgenden Ereignisse fanden Eingang in die Schrift «Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland», die 1934 bei Richard Lany in Wien publiziert wurde. Nachdem die österreichische Ausgabe 1935 auf den Index kam, erfolgte ein Nachdruck im Verlag der Genossenschaftsbuchhandlung Zürich. Nach dem sogenannten Anschluss floh Lili Körber über Zürich nach Paris. Trotz Neuausgaben einiger ihrer Bücher ist die 1982 im amerikanischen Exil verstorbene Autorin nahezu unbekannt geblieben. Immerhin hat der Wiener Verlag Brandstätter 1988 «Eine Österreicherin erlebt den Anschluss» herausgegeben. Die Vorlage war 1938 im Berner Volksrecht unter dem Pseudonym Agnes Muth als Fortsetzungsroman erschienen.
Seferia – jüdisches Buchfestival
HOMMAGEN – Noëmi Gradwohl (1969-2024)
Mittwoch, 27. November, ab 17:00 Uhr
Noëmi Gradwohl war eine preisgekrönte Moderatorin und Sprecherin. Bei der ersten Ausgabe der SEFERIA verantwortete sie mit viel Charme und Souveränität das Format «Open Mike». In Erinnerung an die viel zu früh verstorbene Radiojournalistin und Schauspielerin, welche sich für die Theater- und Kunstwelt genauso interessierte wie für Kinderliteratur, haben wir eine vielfältige Hommage zusammengestellt.
Seferia – jüdisches Buchfestival
HOMMAGEN – Weil jetzt!
Samstag, 30. November, 19.30 Uhr
Wie bleiben wir verwurzelt, wenn alles ins Wanken gerät? Die Frage hat die französische Philosophin Simone Weil (1909–1943) zeitlebens umgetrieben.
In ihren Schriften hat sich Simone Weil intensiv mit den Mechanismen der Macht, mit Formen der Gewalt sowie der Verführungskraft von Ideologien auseinandergesetzt. In ihrem Werk blickt sie immer wieder in die gewaltsame Vergangenheit, um dadurch die Gegenwart zu erhellen. In Essays wie „Die Ilias oder das Poem der Gewalt“, den Simone Weil Ende der dreissiger Jahre verfasste, entwirft sie mit gnadenloser Klarheit das Szenario des drohenden Terrors.
Eine szenische Lesung von Sascha Ö. Soydan in der Regie von Nicole Oder und mit Musik von Heiko Schnurpel lassen das Porträt einer wachsamen Zeitzeugin und kontroversen Denkerin entstehen, die ihr kurzes Leben dem pazifistischen Widerstand und dem politischen Kampf gegen den Faschismus gewidmet hat. «Weil jetzt!» zeigt, wie aktuell die Gedanken Simone Weils heute sind.