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Omanut-Doppel: Naht das Ende der israelischen Demokratie?

Der verstorbene deutsch-jüdische Journalist Ralph Giordano analysierte in seinem Buch «Israel, um Himmels willen, Israel» (1991) das fragile Gleichgewicht, in dem sich Israel seit seiner Gründung befindet: Stark und wehrbereit solle das Land sein, um den Judenhassern in aller Welt, den alten und den neuen, etwas entgegenzusetzen – und gleichzeitig im Inneren liberal und nach Gerechtigkeit strebend, mit reflektierter Machtkritik ganz im Sinne der biblischen Propheten. Heute zeigt sich: Wird die Liberalität durch religiösen Fanatismus bedrängt, wird die Machtkritik mundtot gemacht, droht dieses Gleichgewicht zu kippen und sich ein autoritärer Staat herauszubilden. Dagegen wehren sich aktuell namhafte Kunstschaffende und Militärs, Politiker und Bürgerinnen aus den unterschiedlichsten Lagern und verschiedener Altersstufen: Sie sehen «ihr» Israel bedroht, für das sie in unzähligen Kriegen gekämpft und für das sie ihre Heimatländer voller Sehnsucht verlassen haben; das Land, in das ihre Vorfahren vor oder nach der Shoa einwandern konnten; das sie aufnahm, als sie aus den arabischen Ländern vertrieben wurden. In diesem «Omanut-Doppel» zu Israel versuchen die Autorin Ayelet Gundar-Goshen und der Rechtsprofessor Mordechai Kremnitzer zu erklären, wie es zu einem solchen Riss in der israelische Gesellschaft kommen konnte, der die Angst vor einem Bürgerkrieg real werden lässt.

Sonntag, 7. Mai 2023, 19.30 Uhr Israel und die Kunstfreiheit
Die Autorin Ayelet Gundar-Goshen im Gespräch mit Jennifer Khakshouri

Volkshaus Weisser Saal Stauffacherstrasse 60 8004 Zürich

Sollte die israelische Regierung doch noch ein Gesetz verabschieden, in dem die Rechte des Obersten Gerichtshofs beschnitten werden, ist die freie Meinungsäusserung bedroht: Es gibt Pläne, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzustellen und so unabhängige Berichterstattung zu erschweren. Wohin das führen kann, sieht man in Ländern wie Russland und China, doch hat Zensur und Selbst-Zensur von Kunstschaffenden auch in Israel nicht erst heute eingesetzt. Der politisch gesteuerte Diskurs, wer Zionist, wer Jüdin sei, beeinflusst schon länger die Kunstszene; denn natürlich geht es auch hier um Teilhabe, um finanzielle Unterstützung und um die Gunst des Publikums. Viele israelische Schriftstellerinnen und Schriftsteller werden in Israel kaum gelesen und sind nur in westlichen Ländern breit rezipiert. Lizzie Doron ist dafür ein Beispiel und auch die Erfolgsautorin Ayelet Gundar-Goshen, die mit ihrer Familie in Tel Aviv lebt, hat ihr Stammpublikum in Europa. Über diese Fragen, die aktuelle politische Situation in Israel und deren Auswirkungen auf ihr Schreiben, spricht Ayelet Gundar-Goshen mit der Journalistin und Moderatorin Jennifer Khakshouri.

Ayelet Gundar-Goshen, geboren 1982, studierte Psychologie in Tel Aviv, später Film und Drehbuch in Jerusalem. Für ihre Kurzgeschichten, Drehbücher und Kurzfilme wurde sie bereits vielfach ausgezeichnet. Für ihren ersten Roman «Eine Nacht, Markowitz» (2013) erhielt sie den renommierten Sapir-Preis für das beste Debüt; 2015 folgte mit «Löwen wecken» ihr zweiter Roman, der für NBC als TV-Serie verfilmt wird. «Wo der Wolf lauert» (2021) ist ihr derzeit neuester Roman, der wie alle ihre Bücher auf Deutsch bei dem Zürcher Verlag Kein & Aber erschienen ist. Ayelet Gundar-Goshen arbeitet als Autorin und Psychologin in Tel Aviv.

Diese Veranstaltung ist eine Zusammenarbeit zwischen Omanut und dem New Israel Fund (NIF).

Mittwoch, 10. Mai 2023, 20 Uhr
Naht das Ende Israels als demokratischer Staat?
Der Rechtswissenschaftler Mordechai Kremnitzer im Gespräch mit Anna Trechsel 

Sphères Hardturmstrasse 66 8005 Zürich

Mordechai Kremnitzer setze sich in seiner langen Karriere als israelischer Universitätsprofessor und Vizepräsident des «Israel Democracy Institute» für einen liberalen, demokratischen Staat ein, in dem Strafrecht und Menschenrechte aufeinander abgestimmt sind. Dafür macht sich der Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Bücher, Mitautor des Israelischen Strafgesetzbuches sowie Gastkolumnist bei Haaretz noch heute stark. Er referiert, auch an der Universität Zürich, zu Fragen rund um Grundrechte in den Krisen der Gegenwart. Nach einem Input-Referat mit dem Titel «A legal reform or a regime take-over?” tritt Mordechai Kremnitzer mit der Journalistin und «Echo der Zeit»-Produzentin Anna Trechsel, die sich seit vielen Jahren mit Israel und dem Nahostkonflikt auseinandersetzt, ins Gespräch. Was die noch stets im Raum stehende Justizreform für Konsequenzen für das israelische Rechtssystem hätte, kommt dabei genauso zur Sprache wie ihre Auswirkung auf die palästinensischen Bevölkerung, sowohl für diejenige mit israelischer Staatsbürgerschaft als auch für jene, die unter israelischer Besatzung lebt. Und die Gefahr eines anhaltenden Kulturkampfes, oder gar eines Bürgerkriegs wird ebenfalls Thema des Abends sein.

Mordechai Kremnitzer wurde 1948 im Flüchtlingslager Fürth bei Nürnberg geboren und emigrierte bereits 1949 mit seinen Eltern – beide Holocaustüberlebende – nach Israel. Er studierte Rechtswissenschaften an der Hebrew Universität in Jerusalem und promovierte im Jahr 1981. In den Jahren 1970–1977 diente er in den israelischen Streitkräften, u.a. als stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft und Militärrichter. Professor Kremnitzer ist emeritierter Professor der Juristischen Fakultät der Hebrew Universität Jerusalem, ehemaliger Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaften und Direktor des israelischen Presserates. Er diente in mehreren Regierungsausschüssen und war Vizepräsident des »Israel Democratic Institute», dem er bis heute als Senior Fellow angehört. 

Für beide Veranstaltungen, die in englischer Sprache durchgeführt werden, bitten wir um Anmeldung unter omanut@omanut.ch/044 915 28 63.