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OMANUT DOPPEL: FRIEDL DICKER

Der Schweizer Künstler und Pädagoge Johannes Itten unterrichtet die junge Friedl Dicker (1898-1944)  in seiner Wiener Privatschule. Dazu kann man in dem biographischen Roman «Friedl» von Elana Makarova, der letztes Jahr auf Deutsch erschienen ist, folgende Zeilen lesen: «Es entsteht der Eindruck, als befände ich mich mit Itten allein in einem Klassenraum. Tatsächlich sind wir sechzehn. Zwei Jahre später werden wir in genau dieser Zusammensetzung – überwiegend Personen jüdischer Herkunft mit linken Ansichten – Itten nach Weimar folgen, wo wir den Ton im gesamten Bauhaus prägen werden.» Auch wenn dies kein Originalzitat aus Friedl Dickers unzähligen Briefen an Freunde und Bekannte ist, arbeitet sie in einem Kreis von Gleichgesinnten, hat eine sozialistische Gesinnung und ist mobil. Ihre Ausbildung führt sie von ihrer Geburtsstadt Wien ans 1919 gegründete Bauhaus in Weimar, bevor sie mit ihrem Partner Franz Singer in Berlin die «Werkstätten Bildender Kunst» gründet. Aufträge erhalten die beiden unter vom Regisseur Berthold Viertel für Bühnen- und Kostümentwürfe. Danach lebt Friedl Dicker erneut in Wien und geht 1933 in die Tschechoslowakei, wo sie später ihren Cousin Pavel Brandeis heiratet und neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit Kinder im Zeichnen unterrichtet. Diese pädagogische Tätigkeit übt sie auch in Theresienstadt aus, wohin sie 1942 zusammen mit ihrem Mann deportiert wird.

Beinahe 80 Jahre nach ihrer Ermordung in Auschwitz am 8. Oktober 1944 erfolgt erstmals eine Einzelausstellung ihres Werkes in der Schweiz. Anlässlich der Schau «Eine Künstlerin der Moderne. Friedl Dicker-Brandeis» in der Graphischen Sammlung ETH Zürich widmet Omanut Friedl Dicker-Brandeis zwei Veranstaltungen, die ihren weitgefächerten Interessen und Begabungen aufzeigen sollen.

 

Montag, 22. Mai 2023, 20 Uhr

Die Freundschaft Friedl Dickers zum Komponisten Stefan Wolpe
Der Pianist Christoph Keller und die Musikwissenschaftlerin Heidy Zimmermann im Wechselspiel

Theater Stok
Hirschengraben 42
8001 Zürich

Tickets: 20/15.- für Omanutmitglieder

Anmeldung: omanut@omanut.ch oder 044 915 28 63

Friedl Dicker ist im Kriegswinter 1918/19 wohl über ihre enge Freundin Anny Wottitz in ein Kompositionsseminar von Arnold Schönberg gekommen. Ihr berichtete sie auch ausführlich über ihre Verbindung zum Musiker Stefan Wolpe, den sie am Bauhaus kennengelernt hatte: «[Stefan] ist überhaupt ein Glück. Und neben ihm kann man, will man sich nur öffnen, wohl zum ‚wahren‘ Leben kommen.» Der um einige Jahre jüngere Wolpe schwärmte für Friedl Dicker und widmete ihr einige seiner Kompositionen, deren Manuskripte heute im Archiv der Paul Sacher Stiftung in Basel liegen. Die Musikwissenschaftlerin Heidy Zimmermann hat den Nachlass aufgearbeitet und über das Freundespaar publiziert. Dessen letztes gemeinsames Projekt beschreibt sie als «eine der neuen Sachlichkeit verpflichtete Kurzoper […] aus sieben Szenen, in denen bekannte (vor allem jüdische) Witze und Erzählungen pointenreich dargeboten werden. Dass Dicker und Wolpe hier eng zusammengearbeitet haben, ist auch vor dem Hintergrund ihrer jüdischen Herkunft zu sehen – ein Faktor, der seit Mitte der 1920er Jahre an Bedeutung gewann und schliesslich als verbindendes Schicksalsmoment beider Leben bestimmen sollte.»

Im Wechselspiel mit dem Pianisten Christoph Keller, der Klavierstücke von Stefan Wolpe, Arnold Schönberg und dessen Schüler Hanns Eisler aufführen wird, berichtet sie von der aussergewöhnlichen Freundschaft zwischen der Künstlerin und dem Komponisten.

Christoph Keller absolvierte sein Klavierstudium an Konservatorium und Musikhochschule Zürich. 1997–2014 wirkte er beim Collegium Novum Zürich. Er hat preisgekrönte CDs eingespielt und sich nachdrücklich für seltener gespielte Musik eingesetzt. Einen Meilenstein bilden seine Aufnahmen des Klavierwerks Hanns Eislers. Parallel zu seiner künstlerischen Tätigkeit war er von 1984–2000 Chefredakteur der Zeitschrift Dissonanz sowie von 1986–2010 Musikproduzent beim Schweizer Radio DRS.

Heidy Zimmermann studierte nach einer Ausbildung als Flötistin Musikwissenschaft, Germanistik und Judaistik in Basel, Luzern und Jerusalem. 1995–2002 war sie Assistentin an der Universität Basel und nahm Lehraufträge an den Universitäten Bern, München und Basel wahr. Seit 2002 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin der Paul Sacher Stiftung in Basel.

 

Dienstag, 23. Mai 2023, 18.30 Uhr 

Entstehung einer Ausstellung
Die Kuratorin Linda Schädler zur vielseitigen Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis

Graphische Sammlung ETH Zürich
Rämistrasse 101
8006 Zürich

Anmeldung: omanut@omanut.ch oder 044 915 28 63

Die Qualität ihrer Arbeit in verschiedenen Tätigkeitsfeldern hervorzuheben, sei Ziel der Zürcher Ausstellung «Eine Künstlerin der Moderne. Friedl Dicker-Brandeis», meint die Kuratorin Linda Schädler. Gezeigt werden Zeichnungen, Skizzen, Aquarelle, Entwürfe für Möbel, Spielzeug, Textilien und Inneneinrichtungen aus der Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien. Warum die erste Schweizer Einzelausstellung von Friedl Dicker-Brandeis gerade die Graphische Sammlung ETH Zürich ausrichtet, die selber kein Werk der vielseitigen und politisch engagierten Künstlerin besitzt, berichtet Linda Schädler im Gespräch mit Karen Roth. Sie spricht über ihre persönliche Entdeckung des reichen Oeuvres der Künstlerin, die als Frau und Jüdin, Sozialistin und Pädagogin lange nicht rezipiert wurde. Ihre Faszination für deren Werk, das eng mit dem Bauhaus und den dort tätigen Künstlern Johannes Itten und Paul Klee verbunden ist, wird genauso zur Sprache kommen wie die Herausforderungen, welche das Facettenreichtums des Werks für dessen Präsentation darstellt.

Nach dem Gespräch führt Linda Schädler durch die Ausstellung. Der Anlass ist gleichsam die Buchvernissage der Publikation «Friedl Dicker-Brandeis. Werke aus der Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien» und wird mit einem Apéro abgerundet.

Linda Schädler ist seit 2016 Leiterin der Graphischen Sammlung ETH Zürich, wo sie mehrere Ausstellungen an der Schnittstelle zu anderen Disziplinen kuratiert hat. Frühere berufliche Stationen führten sie als Postdoc ans Kunsthistorische Institut der Universität Zürich sowie an die Professur für Kunst- und Architekturgeschichte der ETH Zürich. Zudem war sie am Kunstmuseum Basel und im Kunsthaus Zürich tätig.

Diese Veranstaltung ist eine Zusammenarbeit zwischen Omanut und der Graphischen Sammlung ETH Zürich