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Aus dem Osten Europas in die Schweiz

Samstag, 24. Oktober 2020, 18 Uhr

Galerie Stephan Witschi
Zwinglistrasse 12
8004 Zürich

Tickets: CHF 40/30.- für Omanutmitglieder (inkl. Essen)
Anmeldung unbedingt erforderlich unter omanut@omanut.ch/044 915 28 63

18.00 Lesung und Gespräch mit Eric Bergkraut; Moderation: Jakob Tanner
Wien-Paris-Aarau: Das sind die Koordinaten, innerhalb deren sich die literarischen Vignetten Eric Bergkrauts bewegen. Jede steht für sich und spinnt zugleich mit an einem Netz von schnörkellosen und freimütigen Geschichten, die Eric Bergkraut als Person immer mehr Profil geben. Ein nachdenklicher Sohn, der der Geschichte seiner Eltern, einem Wiener Juden und einer protestantischen Zürcherin, auf die Spur kommen will. Und den gleichzeitig – auf dem Hintergrund der historischen Ereignisse – die Frage umtreibt, wie er zu dem geworden ist, der er ist. Auf dieser Suche nach den Ursprüngen seiner eigenen Biographie gibt es viele berührende Momente. Diese können so leichtfüssig wie das Brettspiel mit der Mutter im Altenheim daherkommen oder so schwer wiegen wie des Vaters Verfassen von fingierten Briefe, um den Eltern den Selbstmords des Bruders zu verheimlichen.

Im Gespräch mit Jakob Tanner werden Eric Bergkrauts persönliche Themen im Spiegel der Zeitgeschichte beleuchtet.

19.30 Lecture - Performance zum Roman «Wie die Milch aus dem Schaf kommt» mit Johanna Lier, Corina Flühmann

Johanna Lier erzählt in ihrem sprachgewaltigen Roman viele Geschichten, zum Beispiel die der grünäugigen Hannah, die mit ihren Nächsten im 19. Jahrhundert aus Galizien auf abenteuerlichen und gefährlichen Wegen in die Ostschweiz kam und hier die erste Nudelfabrik gründete. Oder diejenige, die dem Buch den Titel gab und der Autorin besonders am Herzen liegt. Sie handelt von Selma, der Protagonistin, welche sich auf Spurensuche nach ihren osteuropäischen Vorfahren macht. Dabei lernt sie in Israel Ilan kennen, welcher ihr von seiner Freundschaft mit dem Palästinenser Khaled erzählt. Die hat ihren Ursprung in der Neugierde danach herausfinden zu wollen, „wie die Milch aus dem Schaf kommt“. Man spürt neben der Faszination für die Rekonstruktion einer verdrängten und lückenhaften Vergangenheit, die eng mit der eigenen Biographie verbunden ist, auch immer Johanna Liers Engagement für Flüchtlinge. Die jüdische Migrationsgeschichte, die ihren Ursprung immer in Verfolgung und Not hatte, findet viele Entsprechungen in der heutigen Zeit.

21.00 Abschlussrunde mit den beiden Autoren; Moderation: Berthold Rothschild

Der Psychiater Berthold Rothschild wird mit Eric Bergkraut und Johanna Lier über ihr Schreiben sowie ihre Auseinandersetzung mit der transgenerationellen Vergangenheit und den Lücken in der Überlieferung sprechen.

Eric Bergkraut, geboren 1957 in St. Maur bei Paris, ab 1961 aufgewachsen in Aarau. Ausbildung zum Schauspieler, Engagements am Theater sowie für Film und Fernsehen. Später Reportagen und seit 1991 Filme als Regisseur und Produzent, u. a. mit Anna Politkowskaja, Agota Kristof, Peter Bichsel und Michail Chodorkowski. Zuletzt in den Schweizer Kinos: der autofiktionale und mit seiner Ehefrau Ruth Schweikert produzierte  Spielfilm „Wir Eltern“. Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Vaclav Havel Award für „Letter to Anna“. «Paradies möcht ich nicht» ist sein erster Roman.

Johanna Lier studiert Schauspiel am Konservatorium für Musik und Theater in Bern und absolviert einen Master of Arts in fine Arts an der ZHdK. Nach längerer Tätigkeit als Schauspielerin in Film und Theater arbeitet sie mehrere Jahre als Redaktorin auf der WoZ und veröffentlichte zahlreicher Gedichtbände. Längere Aufenthalte und Recherchen in Iran, Nigeria, Chile, Ukraine, Israel, Argentinien und Griechenland. Lehrtätigkeit u.a. an der Hochschule für Kunst und Design in Luzern, an der F&F, Schule für Kunst und Mediendesign und im JULL. Sie ist im AutorInnennetzwerk TeppichTeppich, bei Alarmphone – Watch the Med Investigations engagiert und war von 2012 bis 2017 Präsidentin von Suisseculture.

Berthold Rothschild ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH sowie Psychoanalytiker PSZ. Er arbeitet seit über 40 Jahren in eigener Praxis in Zürich; Tätigkeit als Supervisor und Dozent im In- und Ausland. Zahlreiche Publikationen und Sendungen an Radio und TV.

Jakob Tanner ist emeritierter Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Zürich und war Mitglied der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg.  2015 erschien seine „Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert“.