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PALMOTIĆEVA

Adriana Altaras für Omanut
Juli 2021

 

Wenn ich mich nicht irre, lebten meine Eltern in der Palmotićeva 30. Die Omanut hatte ihren Sitz in der Palmotićeva 22. Gleich werde ich in den alten Koffern wühlen, die ich nach „Titos Brille“, meinem ersten Buch, in den Keller gebracht hatte. Damals dachte ich, ein Buch über die Familie reicht…

Eine sehr schöne Straße mitten im Zentrum Zagrebs, das Haus in dunklem Gelb sieht imposant aus.

Ich erinnere mich an den Treppenaufgang und an die vielen Kinder, die auch dort wohnten.

Ich posaunte herum, wir würden bald wegziehen, „Njemačka“, was Deutschland heißt und dort würde ich „glumica“ werden, eine Schauspielerin. Ich war vier und hatte schon damals eine große Klappe. Ich hatte in einem Partisanenfilm mitgespielt und mein Berufswunsch stand fest: entweder Partisanin, notfalls Schauspielerin.

Wir sind wirklich fort, noch bevor der Partisanenfilm „Nikoletina Bursać“ in die Kinos kam. Er lief ab 1964 jährlich im Fernsehen zu Titos Geburtstag. Kein Mensch kann den Film mehr sehen…

Meine Eltern sind nicht ganz freiwillig aus Zagreb gegangen, mein Vater hatte, knapp bevor er General wurde, mit einem Schauprozess zu kämpfen, er wurde aus der Partei geworfen.

Das war das Ende seiner politischen Karriere. Er floh nach Zürich, und arbeitete dort im Kantonsspital, meiner Mutter wurde wegen Fluchtgefahr der Pass entzogen. Mich schmuggelten meine Tante und ihr italienischer Mann nach Mantua, in die Lombardei. Das alles ist nachzulesen in „Titos Brille“. Ich lernte meine Geburtsstadt erst sehr viel später kennen und ja, auch lieben.

Zagreb ist eine k.u.k. Perle. Das renommierteste Architektenduo der Monarchie, Ferdinand Fellner und Hermann Helmer, aus Wien, die schon die Wiener Staatsoper gebaut hatten, haben sich auch hier verwirklicht. Auch in Wiesbaden und Graz stehen fast identische Opernhäuser, es muss ein Prototyp in der damaligen Zeit gewesen sein.

Berühmte Sänger gaben in Zagreb ihr Debüt, man war stolz auf seine Oper.

Mein Vater war ein Opernnarr und als er floh, nahm er vor allem seine Schellack-Platten mit, der Koffer muss Tonnen gewogen haben.

Daneben liegt das Opern-Café, in dem mein Großvater gesessen hatte und die Kuchen-Portionen kontrollierte. Das Café gehörte ihm.

Zagreb hat eine schöne Altstadt, gleich unterhalb der Burg, verwinkelte Wege, die zur Unterstadt führen, wo sich Geschäft an Geschäft reiht. Selbst der Sozialismus hat dem Charme dieser Stadt keinen Abbruch getan. Am Trg Republike Hrvatske gibt es einen Bauernmarkt, der seinesgleichen sucht.

Kurzum, Zagreb bot und bietet, was das Herz begehrt.

Ich hatte mich, damals vierzehnjährig, auf meiner ersten Zagreb-Reise in einen Kroaten verliebt und wollte einwandern. Meine Eltern sahen das eher skeptisch.

Denn so sehr ihr Zagreb ihnen fehlte – mein Vater stammte aus Split, nur meine Mutter und ich sind gebürtige Zagreberinnen – sie wurden zweimal von den Kroaten verjagt. Das merkt man sich.

Bevor ich weitermache, eine kleine Bemerkung. Ich habe vierjährig meinen Geburtsort verlassen. Alles, was ich über das Zagreb, meiner Familie und deren Freunden weiß, kenne ich nur vom Hörensagen. Meine Eltern, meine Tante haben mir viel erzählt, sicher, sie sind später immer mal wieder hingefahren. Aber immer voller Scheu und Misstrauen. Es wurde nie mehr ihre Stadt.

Zagreb hatte ein blühendes Kulturleben und auch die jüdische Gemeinde war groß und vielseitig. Man feierte die hohen Feiertage, Purim und mehr, aus dem ganzen Land reisten die Juden an. Meine Eltern hatten sich beim Chanukka-Ball in der Zagreber Gemeinde kennengelernt.

Über 10.000 Juden lebten in Zagreb. Es gab ein jüdisches Altersheim, Makkabi-Sportereignisse, jüdische Pfadfinder, eine B`nai B`rith Loge. Die Mehrheit waren aschkenasische Juden, es gab aber auch eine sephardische und eine kleine jüdisch- orthodoxe Gruppe. Sie alle hielten ihre unterschiedlichen Gottesdienste ab. Es gab die Assimilierten und die Antizionisten, die sich in einer Volksarbeitergemeinschaft zusammengefunden hatten. Seit 1906 gab es die erste jüdische Zeitung, 1917 kam das jüdische Wochenblatt dazu, mit einem großen Anzeigenanteil. In ganz „Jugoslawien“ lebten an die 75.000 Juden.

Man hatte einen Architektur-Wettbewerb ausgelobt, um ein jüdisches Krankenhaus zu bauen.

1941, als sich Omanut Zürich mit Omanut Zagreb zusammentat, war der Faschismus schon in vollem Gange. Noch immer gab es Theater, Opern und Musik-Veranstaltungen, Lesungen und Kammerkonzerte, aber die Luft wurde dünner und dünner. Ich weiß nicht, wie viele kulturelle Ereignisse Omanut noch unterstützen konnte, die Katastrophe hatte ihren Anfang genommen.

An die 1.000 Juden, die aus Deutschland und Österreich geflohen waren, kamen in die Stadt. Sie hatten die Nazis schon zu spüren bekommen, erzählten Unglaubliches und mehr. Mit der Machtergreifung der Ustascha, der kroatischen Faschisten, begannen auch im ehemaligen Jugoslawien die Rassengesetze zu greifen.

Meine Mutter musste einen Davidstern tragen, wurde von der deutschen Schule geworfen und in der jüdischen weiter unterrichtet. Sie vermisste ihre Freundinnen und hat sehr darunter gelitten. Von den jüdischen Schülerinnen haben nur drei den Krieg überlebt, die Ustascha waren sehr gründlich.

Mein Vater und seine Brüder, allesamt Sepharden und somit viel misstrauischer den Deutschen gegenüber als die Aschkenasen, hatten sich früh den Partisanen angeschlossen, in den Bergen gekämpft und überlebt.

Meine Mutter, ihre Schwester und Mutter überlebten das KZ auf der Insel Rab.

Die Ustascha, so meine Eltern, seien die vorbildlichsten Nazis gewesen. Von den 75.000 jugoslawischen Juden haben 60.000 den Krieg nicht überlebt.

Heute leben an die 300 Juden in Zagreb. Sie haben eine schöne Wohnung für ihre Gemeinde umfunktioniert und einen wunderschönen Thora-Schrein.

Sie freuen sich sehr, wenn man sie besucht, sie halten Konzerte und Lesungen ab, aber nichts ist mehr wie damals. Natürlich nicht.

Die Ressentiments meiner Eltern haben mich lange begleitet.

Vor einigen Jahren war ich auf Lesereise durch Kroatien. Es war schön, in meiner Heimat zu arbeiten, sie so anders, neu zu erleben. Ich wurde von klugen Professorinnen moderiert, die Zuschauer waren offen und interessiert. Es warteten nicht an jeden Ecke Faschisten, wie meine Tante, nach wie vor, steif und fest behauptet.

Im Gegenteil. Man war bemüht, seine dunkle Geschichte anzuschauen.
Wieder ein paar Jahre später habe ich in dem Kroatien-Krimi mitspielen dürfen. Das Team bestand aus Deutschen und Kroaten, der Dreh war sehr professionell, und ein paar Jahre bin ich nach Kroatien gefahren, um dort zu arbeiten. Das Beste, was mir passieren konnte. Nach und nach einen eigenen, neuen Zugang zu Kroatien zu finden, war nicht leicht, hat gedauert.  Aber letztendlich habe ich mich von den Traumata meiner Familie emanzipieren können. Ich möchte nicht gleich nach Kroatien ziehen, aber wenn man mich nach meiner Geburtsstadt fragt, erzähle ich immer voller Stolz, ich sei im schönen Zagreb geboren, aufgewachsen in der Palmotićeva, in einem sehr schönen stolzen Haus.

Ein Katzensprung zu Oper und Museum. Es lohnt sich ein Besuch …

Adriana Altaras wurde 1960 in Zagreb geboren, lebte ab 1964 in Italien, später in Deutschland. Sie studierte Schauspiel in Berlin und New York, spielte in Film- und Fernsehproduktionen und inszeniert seit denNeunzigerjahren an Schauspiel- und Opernhäusern. Sie erhielt zahlreicheAuszeichnungen, u.a. den Bundesfilmpreis, den Theaterpreis des LandesNordrhein-Westfalen und den Silbernen Bären für schauspielerischeLeistungen. 2012 erschien ihr Bestseller »Titos Brille«. 2014 folgte »Doitscha – Eine jüdische Mutter packt aus«, 2017 »Das Meer und ich waren imbesten Alter« und 2018 »Die jüdische Souffleuse«. Adriana Altaras lebt mit ihrer Familie in Berlin.